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Veröffentlicht am 18.11.2000

Von Bernd Rabehl

Beiträge der Autorin für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung “Aufbau” von 1941 bis 1945

„Zwischen 1941 und 1945 veröffentlichte Hannah Arendt in der deutschsprachigen jüdischen Zeitschrift “Der Aufbau” Aufsätze über eine mögliche Wiedergeburt des jüdischen Volkes als Nation und Staat. Die Aufsätze dokumentieren Arendts zunehmende Distanz zum Zionismus und belegen ihr Bemühen, eine Theorie der “politischen Demokratie” für die Zeit nach dem Sieg über den Faschismus herauszuarbeiten.

Arendt wendet sich vehement gegen die Geheimdiplomatie zionistischer Führer, die bei den Großmächten Sonderinteressen durchsetzen wollten, ohne sich um die Lebensinteressen jüdischer Siedler oder Einwanderer oder der ansässigen palästinensischen Bevölkerung zu scheren. Die andere Seite dieser Geheimdiplomatie verkörpert nach ihrer Überzeugung der Terror gegen die englische Kolonialverwaltung oder arabische Gegner einer israelischen Staatsgründung. Arendt prophezeit, dass ein auf solchen Fundamenten errichteter Staat keinen Frieden finden wird.
Sie engagiert sich für den politischen und kulturellen Ausgleich der jüdischen Nation mit den arabisch-palästinensischen Völkern und plädiert für den Aufbau einer politischen Föderation in jener Region, die nicht nur unterschiedliche Ethnien und Nationen umfasst, sondern auch auf wirtschaftlicher Kooperation gründet. Die Idee des Nationalstaats sei für Israel veraltet, weil dieser Staatstyp auf die Hegemonie eines Volkes poche. In dem Kontext diskutiert sie den “Föderationsgedanken” in der US-amerikanischen Konstitution und in der Verfassung der UdSSR. Die amerikanische Revolution und die totalitäre Entwicklung der Sowjetunion werden später die beiden Pole ihrer politischen Philosophie darstellen.

In den nun in einem Band versammelten Aufsätzen beschreibt sie die Geburt eines modernen, jüdischen Volkes, das durch Widerstand und Kampf, Arbeit und Gestaltungswillen in Europa, Nordamerika und Palästina zu erkennen gibt, dass es zu jenen neuen Nationen gehört, die im Krieg ihr Lebensrecht ertrotzten. Eine solche junge Nation stellt sie bewusst den alten europäischen Nationen gegenüber, die in der Kollaboration mit den Nazis ihre ursprünglichen Ziele aufgegeben hätten, wie etwa die französische Nation, oder die wie die Deutschen ihre Tradition und Kultur verrieten, indem sie einen Vernichtungskrieg gegen Greise, Kinder, Frauen führten und durch blindwütigen Rassismus ihr Existenzrecht als freie Nation verwirkten. Die Bildung einer “jüdischen Armee” in Palästina, der Partisanenkampf gegen die deutsche Wehrmacht in Europa oder der Aufstand im Warschauer Getto sind für Arendt Indizien, dass die Juden den Status der Paria oder der Parvenues aufgeben und damit die Mentalität der Opfer oder der Sklaven ablegen.

Der Sieg über den Nationalsozialismus verpflichte die Völker, anzuschließen an die radikalen Zielsetzungen der bürgerlichen Revolution und zugleich in eine übernationale Kooperation einzutreten, um die Enge der Nationalstaatlichkeit zu überwinden.

Die Aufsätze bilden eine Brücke zwischen Arendts philosophischen Arbeiten und ihrem politischen Denken, in dem sie den Zionismus oder die Formen totalitärer Herrschaft analysiert. Dies hat auch eine biografische Dimension. Hannah Arendt löste sich vom Habitus einer “Parvenue”-Intellektuellen, überwand den Heideggerschen Existenzialismus, wurde aber nicht Soldatin in einer jüdischen Armee oder Politikerin im jüdischen Staat. Sie entwickelte sich zur politisch denkenden Analytikerin, die in New York Professorin wurde. Ein weiblicher Sokrates.“

Hannah Arendt: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung “Aufbau” 1941-1945. Piper, München. 244 S., 39.80 Mark.